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Von Weihnachten, Spenden und Menschen

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Es ist wieder Weihnachtszeit und das heißt gleichzeitig auch Bettel- bzw. Spendenzeit. Unabhängig von medialen Aufrufen, begegnet man auch beim Gang durch die Einkaufsstraßen vermehrt Menschen am Straßenrand, die um Geld betteln.

In den vergangenen Tagen war ich in Wiesbaden unterwegs und sah einen Mann, der mein Herz tatsächlich etwas zum Weinen brachte, gleichzeitig kochte mir irgendwie die Wut hoch, was mich dazu veranlasst, diesen Artikel zu verfassen. Den gleichen Mann hatte ich nur wenige Tage zuvor schon in Mainz gesehen. Warum ich mich so genau daran erinnere? Er hatte keine Arme und keine Beine und saß im Rollstuhl. In Mainz wurde er gerade von einer Frau abeholt, was ich nur als Randerscheinung wahrnahm und längst vergessen hatte. In Wiesbaden sah ich ihn nun wieder. Da saß er vor irgendeiner Ladenkette in seinem Rollstuhl. Schräg vor seinem Bauch eine etwas größere Schale, die mit mehreren Bahnen Tape kreuz und quer um ihn herumgebunden war. Könnt ihr euch dieses Bild vorstellen?

Ich lief vorbei und traute meinen Augen nicht. Der Anblick hatte für mich etwas herzzerreißendes und gleichzeitig so erbärmliches. Darf man das so sagen? Wie diese Schale an ihm festgeklebt war, vermutlich damit sie vom Boden keiner mitnehmen kann. Ich stellte mir vor, wie dieser Mann von wahrscheinlich eben der Frau, die ich in Mainz gesehen hatte, an eben diese Stelle gefahren wurde und die Schale an ihm festmachte. Ich kann die Emotionen, die dieses Szenario in meinem Kopf hervorrief, nicht angemessen in Worte fassen.

Gleichzeitig sprengen Fragen meinen Kopf. Tut er das aus freien Stücken? Muss er tatsächlich betteln? Wird seine Behinderung als Mitleidsfaktor ausgenutzt und das Geld geht am Ende an jemand ganz anderen? Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich 1 Euro gespendet hätte?

Ich empfand die Situation als menschenunwürdig. Am liebsten wäre ich hingegangen und hätte etwas gesagt. Doch was hätte ich sagen sollen, was die Situation geändert hätte? Oder rede ich mir das ein, weil ich zu feige war?

Doch dieser Mensch ist nur sinnbildlich für das aktuelle Straßenbild. Die Weihnachtszeit macht uns ein schlechtes Gewissen. Weil wir in Geschäfte eilen, um Geschenke zu kaufen. Weil wir konsumieren, obowohl es uns doch schon so gut geht. Weil wir in ein warmes Café laufen können und Freunde treffen. Weil wir ein warmes Zuhause haben, wo Menschen sind, die uns lieben. Während da draußen diese Person sitzt. Die wir so häufig versuchen zu ignorieren, weil wir in unserem schönen Stress nicht unterbrochen werden wollen.

Unzählige Male laufe auch ich einfach vorbei. Doch manchmal ergreift die Situation auch mein Herz. Denn kein einziger dieser Menschen sitzt dort, weil er es gut im Leben hat. Es macht mich wütend zu wissen, dass es Banden gibt, die Behinderungen von Menschen oder Mütter mit Kindern ausnutzen und sie auf die Straßen schicken. Um genau an unser schlechtes Gewissen zu appelieren. Manche sind so offensichtlich, dass wir uns im Recht fühlen, nichts zu geben. Und auch ich finde keine Lösung. Denn wenn sich „das Geschäft“ nicht lohnt, meint man vielleicht die Banden ausrotten zu können. Aber das wird sicherlich nicht der Fall sein. Geld zu geben fördert aber nur dieses dreckige Geschäft.

Aber da gibt es auch diese armen Menschen. Die, die möglicherwiese wirklich verstümmelt, behindert sind oder einfach vom Schicksal verarscht wurden. Sie wissen keinen anderen Weg, als durch Zurschaustellung ihrer selbst, die vorbeieilenden Menschen zu erreichen. Fast wie zwei koexistierende Parallelwelten, die nur durch den Schock- und Mitleidsmoment zusammentreffen. Bevor wieder jeder in seine Welt abtaucht.

Das alles macht mich sehr traurig. Und noch mehr berührt mich, dass die meisten Menschen nur oder vor allem in der Weihnachtszeit zu erreichen sind. Warum ist das Spendenaufkommen in der Weihnachtszeit am größten? Aus den oben genannten Gründen des schlechten Gewissens, weil es einem selbst so gut geht? Doch uns geht es doch auch den Rest des Jahres gut!

Ich finde in diesem Artikel keinen richtigen Punkt. Eigentlich soll er auch keinen haben und braucht er auch nicht. Ihr findet eine Sammlung von Gedanken, die genau so wirr in meinem Kopf herumspuken. Jeder muss mit den entsprechenden Situationen umgehen, wie er es für richtig hält. Ich wünschte nur, man könnte der Welt und der Menschheit anders helfen, als solche entwürdigenden Situationen zu schaffen. Eigentlich muss in Deutschland keiner durchs Raster fallen und ich kann manchmal kaum nachvollziehen, warum es doch passiert. Aber es soll auch keiner ein schlechtes Gewissen haben, weil es ihm gut geht, weil man geliebt wird und ein warmes Zuhause hat. Ich habe keine Lösung. Ich wünsche mir nur, dass manche Menschen mehr Achtung vor ihren Mitmenschen haben. Sei es beim Vorbeigehen oder auch beim Ausnutzen trauriger Schicksale.


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